Montag, 25. Oktober 2010
Hinter dem Bahnhof (Arno Camenisch)
In Arno Camenischs „Hinter dem Bahnhof“ (Engeler-Verlag) finden wir uns in einem kleinen Dorf in Graubünden wieder. Camenisch erzählt uns aus Sicht des „Buobs“, was während eines Jahres alles passiert im Dorf. Da ist die „Tatta“, die beim Jassen mit den Zähnen „Grüschs“ macht, um ihre Mitspieler abzulenken oder aber der Bruder, mit dem er durchs Dorf läuft, um Häuser, „Heustalls“, „Telefoncabinas“ und „Abfallconteiners“ zu zählen. Camenisch schreibt in einer wunderbar melodiösen Sprache, die Deutsch, Schweizerdeutsch, Romanisch und Italienisch mischt. Ein grosser Wurf auf 95 Seiten, der hoffentlich bald auch als Hörbuch vorliegen wird.
Freitag, 8. Oktober 2010
Ein perfekter Freund (Martin Suter)
Der Protagonist Fabio Rossi erwacht im Krankenhaus mit einem Schädel-Hirn-Trauma und kann sich nicht mehr erinnern, was in den letzten 50 Tagen geschehen ist. Das ist die Ausgangslage des neusten Romans von Martin Suter. Und da sich alles im Leben Fabio Rossis, so scheint es, in dieser Zeit radikal verändert hat, beginnt für ihn eine schwierige Suche nach der Wahrheit und vor allem zurück zu sich selbst.
Der Leser weiss nur soviel wie der Protagonist selber, stolpert mit ihm durch die heissen, schwülen Sommertage in einer Schweizer Stadt. Er meint, die brütende Hitze zu spüren und mitten in die Situation von Fabio Rossi hineingezogen worden zu sein. Ein beklemmendes Gefühl.
Stück für Stück tastet sich dieser in den ihm fehlenden Zeitabschnitt vor: eine Reportage über Lokomotivführer bringt ihn "der grossen Sache" näher, die er vor seinem Unfall anscheinend aufgedeckt haben soll. Ein Skandal in der Lebensmittelbranche, den die Verantwortlichen mit allen Mitteln unter Verschluss halten wollen.
Es ist ein schmerzlicher, langsamer Erkennungsprozess für Fabio, denn nichts ist, wie es scheint. Je näher er sich selber kommt, umso weiter entfernt er sich von dem, was er selbst zu sein glaubte. Sein Psychotherapeut beschreibt es so: "In jedem von uns steckt das Gegenteil seiner selbst. Und fast jeder kommt in seinem Leben einmal an einen Punkt, am dem er ausprobiert, ob es sich dabei nicht vielleicht um sein wahres Selbst handelt."
Neben der psychologischen Sicht auf den Menschen sind auch ein Krimi mit brisanter Aktualität und eine leise Liebesgeschichte in diesem bis zur letzten Seite spannenden Roman untrennbar miteinander verwoben. Darüber dominiert unaufdringlich, aber nachdrücklich das Thema "Freundschaft".
Freundschaft zeigt sich in bedingungslosem Geben, gegenseitigem Vertrauen und in stillschweigendem Verzeihen, Tag für Tag. Deshalb der Titel, den man erst am Ende, mit traurig-zynischen Beiklang, in seiner wahren Grösse versteht.
Diogenes Verlag, ISBN: 3257063067, 352 Seiten
Donnerstag, 7. Oktober 2010
Die Zwillinge von Highgate (Audrey Niffenegger)
Mitgelebt und mitgelitten. Die enge, tragische Verbindung zwischen zwei Menschen und ein Strudel von Ereignissen, die das rationale Weltbild sprengen.
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